Beton - es kommt darauf an, was man daraus macht!

So oder so ähnlich wird ein Baustoff beworben, dessen Schönheit durchaus im Auge des Betrachters liegt. Diese Werbung kam mir in den Sinn, als die Medien die zwei Wahlgänge zur Kanzlerwahl am 6. Mai als Mittelpunkt ihrer Berichterstattung zelebrierten. Ganze Heerscharen von Politologen, Soziologen und Journalisten kommentierten die Mehrheitsverhältnisse und spekulierten über mögliche zukünftige Krisen – frei nach Goethe: „... im Auslegen seid frisch und munter...“. Ganz nebenbei wurde natürlich auch über die nach meiner Meinung eigentlich schon längst gefallene Brandmauer zumindest kurz berichtet, da ja die Stimmen der LINKE gebraucht wurden, um den zweiten Wahlgang zu ermöglichen. Anstatt die Gelegenheit zu nutzen, sich selbst ehrlich zu machen, wurde aus der politischen Berliner Wolke pflichteifrig der Fall der Brandmauer dementiert. Manchmal komme ich mir richtig veräppelt vor – für wie dumm wird eigentlich „Otto Normal Wähler" gehalten? Wann wird endlich die Realität zur Kenntnis genommen, die wir in Thüringen schon längst haben?
Wer sich selbst einmauert, verliert nun einmal den Weitblick, sieht allenfalls den blauen Himmel und einige Wolken über sich. In kurzer Zeit werden die zwei Wahlgänge allenfalls eine Fußnote der Geschichte sein. Der neuen Bundesregierung sollte eine ehrliche Chance gegeben werden – sowohl von den Medien als auch von uns Wählern. Wie steht es im Evangelium nach Johannes: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen ...“. Kommen wir wieder zum Werbespruch: „Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht.“ Heute schauen wir voller Achtung auf Bauten aus der Antike. Diese scheinen für die Ewigkeit geschaffen– gerade wegen der Zuschlagstoffe wie z.B. vulkanischer Asche. Das 2001 bezogene Bundeskanzleramt in Berlin bröckelt jetzt schon, und vielleicht ist dies auch ein Symbol für den Zustand unseres Landes? Es kommt wohl doch auf die richtige Mischung an? Es sollte alle Verantwortlichen zumindest zum Nachdenken anregen – die Mischung macht es eben, und das Weglassen oder Hinzufügen von Wichtigem beeinflusst die Haltbarkeit des Baustoffs.
Wenn sich für oder gegen bestimmte Baustoffe entschieden wird, dann hat das Auswirkungen für die Zukunft – auch für das Bauwerk unserer Demokratie. Die ehemalige Bundesinnenministerin hat wenige Tage vor ihrem Ausscheiden unserer Demokratie ein eintausendeinhundert Seiten starkes, wahres Danaergeschenk überreicht: eine streng vertrauliche, wenn nicht sogar geheime Einstufung einer von über dreißig Prozent der Wähler gewählten Partei. Zwar darf offiziell niemand den Inhalt kennen, aber sofort wird – trotz inhaltlicher Unkenntnis der eintausendeinhundert Seiten – die aus dem Inhalt abgeleitete Einstufung einer Partei von pflichtbewussten, moralisch hochstehenden Politikern als Grundlage genutzt, um ein Verbotsverfahren gegen diese Partei lautstark zu fordern. Was soll der Unsinn? Kann sich nicht mit einer vom Wähler demokratisch gewählten Partei auch demokratisch auseinandergesetzt werden? Irgendwie erinnert mich diese Diskussion an längst vergangene Zeiten. Starke Demokratien brauchen starke Demokraten, die sich inhaltlich und thematisch miteinander streiten – und nicht die ideologische Keule schwingen.
Ein sich wahrscheinlich über Jahre hinziehendes und dann auch noch ergebnisloses Verbotsverfahren schwächt die Demokratie und wäre ein wahres Konjunkturprogramm für die betroffene Partei. Nach den Jahren des Stillstands, ja der Rezession, brauchen wir eine entschlossen handelnde Regierung – und keine, von sinnentleerten Diskussionen geschwächte Demokratie! Das Verbot einer demokratisch gewählten Partei ist auf jeden Fall der falsche Weg. Die Römer haben mit der richtigen Mischung Bauwerke geschaffen, die Jahrtausende überdauert haben. Das Bundeskanzleramt in Berlin bröckelt schon nach vierundzwanzig Jahren. Aber ist bröckelnder Beton am Bundeskanzleramt nicht besser als Betonköpfe darin? Das fragt sich zumindest...
Ihre Martina Schweinsburg